Die Regierungen konnten sich in den vergangenen Jahren einige zusätzliche Ausgabenprogramme leisten – dank kräftiger Unterstützung der Notenbanken und niedriger Zinsen. Da die expansive Geld- und Finanzpolitik nicht zu höherer Inflation führte, machte sich in manchen politischen Kreisen – teilweise aber auch am Finanzmarkt – die Hoffnung breit, die Ideen der sogenannten „Modern Monetary Theory“ könnten sich bewahrheiten. Doch dann kam im vergangenen Jahr die Inflation überraschend kräftig zurück.

Lesen Sie dazu ein Interview mit Prof. Dr. Michael Heise, Chefökonom bei HQ Trust. Zuvor war er Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Chef-Volkswirt bei der DG Bank, DZ Bank, der Dresdner Bank und bei der Allianz.

Markt und Mitte: Was verbirgt sich hinter dem Konzept der „Modern Monetary Theory“ (MMT)?

Michael Heise: Die Kernaussage der „Modern Monetary Theory“ ist, dass sich Staaten keine Schuldenziele setzen sollten – so wie wir es in Europa mit dem Stabilitätspakt tun –, sondern politische Ziele. Gemäß den MMT-Vertretern können Staaten alle Projekte, die sie für politisch wünschenswert halten, auch umsetzen. Wenn die Einnahmen aus Steuern und Abgaben nicht ausreichen, kann die Regierung praktisch unbegrenzt Schulden machen, weil ihr die eigene Zentralbank das fehlende Geld zur Verfügung stellen kann. So würden etwa massive Investitionen in den Klimaschutz, in die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, die Bildung oder den sozialen Ausglich keine Finanzierungsschwierigkeiten auslösen.

Nach herkömmlicher Theorie müsste die Regierung die staatlichen Ausgaben an anderer Stelle senken, um die nötigen finanziellen Mittel frei zu bekommen. Die MMT-Befürworter sehen diese Budgetbeschränkungen nicht. Sie meinen, dass es solche Beschränkungen nicht geben muss, solange es volkswirtschaftlich ungenutzte Kapazitäten gibt. Mit der zusätzlichen staatlichen Nachfrage würden diese ungenutzten Ressourcen – zum Beispiel Arbeitslose – aktiviert und damit würden neue Waren und Dienstleistungen geschaffen. Angebot und Nachfrage steigen gleichermaßen, sodass die expansive Geld- und Finanzpolitik nicht ein steigendes Preisniveau zur Folge hat. Erst wenn die Inflationsraten anziehen, muss die Wirtschaftspolitik umsteuern. Mit anderen Worten: Die Aktivitäten des Staates werden nicht durch knappe Budgets begrenzt, sondern letztlich erst durch Inflation.

Markt und Mitte: Welche Maßnahmen sind aus Sicht der „Modern Monetary Theory“ zu ergreifen, um die jetzt gestiegenen Inflationsraten wieder nach unten zu bringen?

Michael Heise: Die aktuell hohen Inflationsraten sind zum Teil auf angebotsseitige Faktoren wie höhere Rohstoffpreise und Lieferengpässe zurückzuführen. Aber auch die Nachfrageseite spielt eine wichtige Rolle. In einer MMT-Welt wären nun Steuererhöhungen angezeigt, um die Massenkaufkraft zu schwächen und auf diese Weise dem Wirtschaftskreislauf Nachfrage zu entziehen.

Markt und Mitte: Ist das MMT-Konzept aus Ihrer Sicht praxistauglich?

Michael Heise: In den Jahren der Pandemie haben die amerikanische Regierung und die amerikanische Zentralbank Fed tatsächlich gehandelt wie in einer MMT-Welt. Die Fed hat Staatsanleihen gekauft und damit die Zinsen und somit die Finanzierungskosten für die Staatsschulden niedrig gehalten. Deshalb konnte die amerikanische Regierung gewaltige Ausgabenprogramme auf den Weg bringen, ohne dafür die Steuern erhöhen oder an anderer Stelle die Staatsausgaben kürzen zu müssen.

Nun ist die Inflation da und eigentlich müsste Kaufkraft über Steuererhöhungen abgeschöpft werden. Das ist die Rezeptur dieser Theorierichtung. Man mag sich Steuererhöhungen in der aktuellen Lage aber nicht vorstellen. Das ist politisch nicht umsetzbar. Die privaten Haushalte klagen schon jetzt, dass ihre Kaufkraft und ihre Löhne durch die Inflation entwertet werden. In einer solchen Situation auch noch die Steuern für die breite Masse zu erhöhen, würde sicherlich Aufruhr in der Bevölkerung nach sich ziehen. Insofern ist die „Modern Monetary Theory“ in meinem Urteil nicht praxistauglich.

Hinzu kommt: Die Grundidee ist ohnehin nur anwendbar in großen Ländern mit einer Zentralbank, die die eigene Währung herstellen kann, ohne in eine Glaubwürdigkeits- und Finanzierungskrise zu geraten. Das sind die USA und nur wenige andere Länder. Mit Blick auf die praktischen Probleme, die aktuell zutage treten, erwarte ich deshalb nicht, dass die „Modern Monetary Theory“ zum neuen Dogma der Wirtschaftspolitik wird.