Laut Statistischem Bundesamt ist die deutsche Wirtschaft im Jahr 2021 um 2,7 % im Vergleich zum Vorjahr gewachsen. Das gerade angelaufene Jahr 2022 soll noch besser werden: Die meisten Prognostiker erwarten einen kräftigen Wachstumsschub von rund 4 %. Doch wie passen diese beeindruckenden Wachstumszahlen zu den teilweise erheblichen Einschränkungen, unter denen Teile der Wirtschaft immer noch leiden? Wie verkraftet die Wirtschaft die immer neuen Rückschläge?

 

BIP-Veränderung (preisbereinigt). 2015 = 100. Quelle: Destatis.

Ein echter wirtschaftlicher Schock waren nur die erste Corona-Welle und die erste Lockdown-Phase: Im zweiten Quartal 2020, also während des ersten Lockdowns, brach die Wirtschaftsleistung historisch stark um gut 11 % ein (gegenüber dem zweiten Quartal 2019). Dass es damals nicht noch schlimmer kam und die Wirtschaft nicht kollabierte, war den massiven Hilfsprogrammen der Regierungen und Zentralbanken zu verdanken. Nach diesem ersten Einbruch hat sich die Wirtschaft in den folgenden Pandemie-Wellen erstaunlich widerstandsfähig gezeigt.

Woher kommt die Widerstandsfähigkeit?

  • Die Notfallprogramme der Regierungen und Notenbanken haben die Umsatzeinbrüche der Unternehmen und Selbständigen zumindest teilweise ausgeglichen. Mit anderen Worten: Das Geld floss zum Teil weiter, obwohl die zugrundeliegende Wirtschaftstätigkeit gar nicht stattfand. Damit wurde eine gewisse finanzielle Normalität simuliert, mit der keine entsprechende Wertschöpfung einherging. Laut Bundesfinanzministerium waren Anfang November 2021 über die Zuschussprogramme gut 57 Mrd. Euro ausgezahlt worden. Die rückzahlbaren Hilfen beliefen sich auf knapp 70 Mrd. Euro.
  • Angesichts der dramatischen Notlage setzte die Regierung Regeln aus, die für wirtschaftlich normale Zeiten konzipiert sind und die – wären sie in der Krise angewendet worden – die Abwärtsspirale beschleunigt hätten. In Deutschland betraf dies die Schuldenbremse oder die Insolvenzanzeigepflicht. Auf europäischer Ebene wurde der Stabilitätspakt ausgesetzt, sodass die Staaten während der Corona-Krise mehr Schulden machen konnten. Letztlich hat das Kurzarbeitergeld einen stärkeren Einschlag am Arbeitsmarkt verhindert.
  • Auch das Verhalten der Verbraucher hat geholfen. Sie haben trotz der Lockdowns Wege gefunden, Geld auszugeben. Die Einzelhandelsumsätze gingen im April 2020 zwar spürbar zurück, doch sie kollabierten nicht, sondern fielen nur auf das Niveau vom Jahresbeginn 2017 zurück (um in den Sommermonaten 2020 umso mehr zu boomen). Selbst im Ausnahmezustand, als nahezu alle Einzelhandelsgeschäfte außer den Supermärkten geschlossen waren, gaben die Verbraucher also immer noch so viel Geld aus wie im ganz normalen Geschäftsbetrieb drei Jahre zuvor. Der E-Commerce bekam einen kräftigen Schub, Supermärkte erlebten eine Sonderkonjunktur und notgedrungen gaben die Verbraucher einen Teil ihrer Urlaubskasse im Inland aus. All das stabilisierte die Nachfrageseite.

Verzerrte Wahrnehmung oder: Der Schein trügt.

Gemessen an den Befürchtungen zu Beginn der Pandemie fällt der gesamtwirtschaftliche Befund also überraschend positiv aus. Dennoch ist nicht alles Gold was glänzt. Die wirtschaftlichen Schäden sind schwerer, als es der erste Blick vermuten lässt. Trotz des erfreulichen Wachstums im vergangenen Jahr lag das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2021 noch immer um 2,0 % unter dem Wert des letzten Vorkrisenjahres 2019. Bisher wurde also nur der Einschlag aus dem Jahr 2020 (-4,6 %) zum Teil ausgebügelt. Eine Rückkehr zur Normalität ist es noch nicht.

Wichtiger noch: Wer nur auf gesamtwirtschaftliche Kennzahlen schaut, der übersieht, dass die Pandemie Gewinner und Verlierer hervorgebracht hat. Die Einzelschicksale – ob Verlierer-Branchen, Unternehmen oder Einzelpersonen – spielen bei gesamtwirtschaftlichen Analysen allenfalls eine untergeordnete Rolle. So reicht ein Blick in die Innenstädte, um zu erkennen, dass die soliden Einzelhandelsdaten der letzten zwei Jahre viele Geschäfte nicht vor dem Aus retten konnten. Der Boom des E-Commerce hat nicht allen Händlern gleichermaßen geholfen. Und der Dienstleistungssektor, zu dem der Sport, die Kultur und die Kreativwirtschaft zählen, liegt noch rund 10 % unter dem Vorkrisenniveau.

Dass sich die wirtschaftliche Situation für viele Bürger individuell nicht so gut anfühlt, wie es die Daten vermuten lassen, mag auch daran liegen, dass Teile des BIP in den Augen der Bürger keinen Wohlfahrtsgewinn darstellen. Das BIP enthält inzwischen auch jede Menge Corona-bedingte Ausgaben. Ob Bürger- oder PCR-Tests, die Kosten der Impfungen, die Ausgaben für Schutzmasken und Desinfektionsmittel, Luftfilteranlagen oder die Behandlungskosten und Reha-Maßnahmen der Corona-Erkrankten – all diese Ausgaben erhöhen das BIP. Viele Menschen nehmen das verständlicherweise aber nicht als wohlstandssteigernd war, denn in der Welt vor Corona konnten sie das Geld, das sie heute etwa in Corona-Prävention investieren müssen, für Dinge ausgeben, die ihnen Freude bereiten.

Risiken und Nebenwirkungen

Bei einem genaueren Blick hinter die Kulisse der gesamtwirtschaftlichen Daten fallen solche weniger schönen Umstände auf. Dennoch ist es ein Erfolg, dass ein langanhaltender Konjunkturabschwung und ein Finanzkollaps abgewendet wurden. Dieser Erfolg der Wirtschaftspolitik bringt aber auch einige Risiken und Nebenwirkungen mit sich.

  • Eine Nebenwirkung ist die gestiegene Inflationsrate. Die extrem expansive Geld- und Finanzpolitik hat nicht nur einen schärferen Konjunktureinbruch verhindert, sondern auch einen überraschend starken Wiederaufschwung ermöglicht. Während der Lockdown-Phasen legten die Verbraucher Geld zur Seite, das sie nach Ende der Lockdowns ausgegeben konnten. Die Nachfrage überstieg dabei das Angebot und folglich stiegen die Preise.
  • Zu den Risiken gehört, dass sich die Politik am eigenen Erfolg berauscht und die aktive wirtschaftspolitische Rolle, die in Krisen gerechtfertigt ist, auch in normalen Zeiten für angebracht hält. Die Staatsquote – ein Indikator für den staatlichen Einfluss auf das Wirtschaftsleben – ist im ersten Corona-Jahr 2020 auf 50,8 % gestiegen (von 45 % im Jahr 2019). Dass sich die Politik nicht so schnell wieder von ihrer aktiveren Rolle verabschieden möchte, ist kaum zu übersehen.
  • Letztlich hatte das geglückte wirtschaftspolitische Eingreifen wohl auch Auswirkungen auf das Pandemiemanagement. Da die wirtschaftlichen Schäden bisher ganz gut überbrückt wurden, hat die deutsche Politik eine gewisse Leidenschaft für Maßnahmen entwickelt, die die Freiheit des Einzelnen einschränken, um das Virus einzudämmen. Ziel der Politik war und ist es, die Nachfrage nach Intensivbetten zu reduzieren. Es galt und gilt, eine Überlastung der Krankenhäuser zu vermeiden. Eine Überlastung der Krankenhäuser ließe sich aber auch dadurch vermeiden, dass die Kapazitäten erhöht werden, das Angebot also ausgeweitet wird. Strategische Reserven sowohl bei den Krankenstationen als auch beim Personal und eine spürbar bessere Bezahlung (über einmalige Sonderboni hinaus) wären angezeigt. Davon ist selbst nach zwei Jahren Corona-Pandemie recht wenig zu hören. Es wäre günstiger, im Gesundheitswesen die Kapazitäten auszuweiten, als immer wieder Teile der Volkswirtschaft temporär lahm zu legen. Vor allem wäre es aber ein echter Gewinn für das Krankenhauspersonal, nicht permanent am Anschlag arbeiten zu müssen.

 

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