Der Verzicht auf Wirtschaftswachstum wird immer öfter als Lösung für die großen Probleme unserer Zeit gesehen. Ist das ein realistischer Ansatz? Oder ist es eine gefährliche Utopie? Lesen Sie dazu ein Interview mit Prof. Dr. Jan Schnellenbach, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Brandenburgischen Technischen Universität.

Markt und Mitte: Was verbirgt sich hinter der Idee einer „Postwachstumsökonomie“?

Jan Schnellenbach: Es gibt verschiedene Interpretationen dieses Begriffs und verschiedene sich nahestehende Denkströmungen, die alle davon ausgehen, dass das Wirtschaftswachstum nicht so weitergehen soll oder wird wie in den Jahrhunderten seit der industriellen Revolution. Und das sind schon zwei ganz unterschiedliche Aussagen: Die einen erwarten, dass beispielsweise die Innovationskräfte der Marktwirtschaft langsam zurückgehen, so dass das Wachstum langsam von selbst immer geringer wird. Dies wurde in der Literatur unter dem Stichwort der säkularen Stagnation diskutiert, ist aber hoch umstritten. Zwar gibt es Trends wie etwa die demographische Alterung, die darauf hinwirken, dass das Wachstum zurückgeht. Am Ende ist die wichtigste Frage aber, ob es weiterhin Innovationen gibt, welche die Arbeitsproduktivität erhöhen. Historisch war dies immer der wichtigste Wachstumstreiber. Und hier kann man natürlich viel spekulieren, ob z.B. die Informationstechnologie, die bisher erst geringe Spuren in den Produktivitätsdaten hinterlassen hat, doch noch einen größeren Effekt produzieren wird.

Hier muss man also ehrlicherweise sagen, dass wir nicht sicher wissen können, wie es mit dem realen Wirtschaftswachstum weitergeht. Ein Zweig der Postwachstumsökonomik fragt sich, wie man mit einer stagnierenden Wirtschaft umgehen würde, wenn sie denn käme. Der andere, leider deutlich präsentere Zweig ist dagegen anmaßender: Er fordert, dass politische Maßnahmen ergriffen werden sollen, die das Wachstum beenden. Als Grund werden dafür meist ökologische Restriktionen angegeben. Diese Vertreter der Postwachstumsökonomik erwarten nicht, dass eine Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch möglich ist. Sie greifen dann oft zum größten verfügbaren rhetorischen Besteck und argumentieren, dass weiteres Wachstum die Überlebensfähigkeit des Menschen auf unserem Planeten zerstöre. In der öffentlichen Diskussion kommt diese moralische Erpressung durchaus an, die meisten Ökonomen lesen so etwas dagegen eher mit Unverständnis und Verwunderung. Denn in den Daten für entwickelte Volkswirtschaften zeigt sich, dass eine Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch durchaus möglich ist. Es ist sicherlich noch ein längerer Weg zu gehen, aber die Richtung stimmt.

Markt und Mitte: Ist eine Wirtschaft ohne Wachstum realistisch bzw. vorstellbar? Oder wäre in einer solchen Welt Arbeitslosigkeit vorprogrammiert?

Jan Schnellenbach: Da gehen die Meinungen auseinander. Der in der Schweiz lehrende Kollege Mathias Binswanger beispielsweise sieht in marktwirtschaftlichen Ordnungen einen Wachstumszwang. Seine Argumente sind auch durchaus plausibel, er führt beispielsweise das einzelwirtschaftliche Wachstumsmotiv von Unternehmen an, das sich dann auch im Aggregat niederschlägt, da Marktwirtschaften eben keine Nullsummenspiele, sondern Positivsummenspiele sind. Er führt aber auch an, dass dies nur funktioniert, solange die Konsumenten nicht gesättigt sind und immer mehr Güter und Dienstleistungen nachfragen. Binswanger bezweifelt, dass Marktwirtschaften längerfristig in einem Zustand der Stagnation verharren können. Entweder wachsen sie, oder sie rutschen in eine Krise mit sinkenden Einkommen.

Historisch haben wir zwar in der Zeit vor der Industriellen Revolution über Jahrhunderte einen Zustand der annähernden Stagnation der Pro-Kopf-Einkommen gesehen. Erst mit dem technischen Fortschritt des 18. und 19. Jahrhunderts ist die Menschheit wirklich aus dieser Stagnation herausgekommen. Aber was wir vorher gesehen haben, das war eben auch keine moderne Marktwirtschaft mit all den Elementen, die zum Wachstum antreiben.

Es ist tatsächlich kaum vorstellbar, wie man in einer Marktwirtschaft Stagnation oder gar absichtliche Schrumpfung politisch durchsetzen will. Dies würde zweifellos zu großen Verwerfungen führen. Wenn beispielsweise der technische Fortschritt und damit der Anstieg der Arbeitsproduktivität weitergeht, der Output aber künstlich (also politisch) limitiert wird, dann würde das unter marktwirtschaftlichen Bedingungen natürlich zu Massenarbeitslosigkeit führen.

Das interessiert die Vertreter des anmaßenden Zweigs der Postwachstumsökonomik aber nicht wirklich, denn für sie steht natürlich auch die marktwirtschaftliche Ordnung zur Disposition. Sie sehen sich in der Rolle von Sozialplanern, die ein neues Wirtschaftssystem entwerfen können und wollen. Das ist natürlich auch wieder eine, mit Hayek gesprochen, verhängnisvolle Anmaßung. Die Marktwirtschaft hat niemand entworfen, sie ist evolviert. Aus dem Handeln einzelner Menschen, die ihre Privatautonomie nutzen, wird ein Netz von Vertragsbeziehungen, die die Marktwirtschaft ausmachen. Und auch die Spielregeln, die Ordnung selbst, hat niemand am Schreibtisch entworfen, sondern sie sind über Jahrhunderte in vielen kleinen Schritten immer wieder verändert und angepasst worden.

Dem steht jetzt die Behauptung gegenüber, man müsse schnell eine Alternative zur Marktwirtschaft entwickeln. Das führt zu autoritären Vorstellungen wie etwa einer Suffizienzwirtschaft, in der eine akademische Elite berechnet, was die Bürgerinnen und Bürger noch verbrauchen dürfen. Oder auch zu eher kuriosen Vorstellungen wie der einer „Doughnut-Ökonomie“: ein Bild, mit dem man zeigen will, dass man nicht zu wenig (dann ist man im Loch des Doughnuts) und nicht zu viel konsumieren darf (dann ist man außerhalb des Teigrings). Was das genau richtige Konsumniveau ist, berechnet natürlich wiederum eine erleuchtete akademische Elite und setzt es dann politisch durch.

Die Umsetzung solcher Postwachstums-Visionen ist natürlich vorstellbar, aber sie wäre kostspielig. Die gedachten Alternativen zur Marktwirtschaft sind autoritär, sie beschränken die Individuen stark in ihren Freiheiten. Und sie kosten realen Wohlstand. Glücklicherweise sind solche Ideen in der praktischen Politik bisher wenig wirkmächtig, auch wenn beispielsweise einzelne Gemeinden durchaus Beratungsaufträge für Doughnut-Trivialitäten vergeben und es in der Thinktank-Landschaft eine recht laute Fankurve gibt. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es in westlichen Ländern in absehbarer Zeit politische Mehrheiten für eine Postwachstumsagenda gibt. Die Bürgerinnen und Bürger schätzen ihren Wohlstand und sie schätzen es auch, dass er noch wächst. Das wird man nicht in wachstumsfeindlichen wirtschaftspolitischen Großexperimenten gefährden wollen.

Markt und Mitte: Unser Wirtschaftssystem ist auf Wachstum ausgerichtet. Der Verzicht auf Wachstum würde unter anderem bedeuten, dass Staaten und Unternehmen ihre Schulden nicht vollständig zurückzahlen könnten. Die Kehrseite der Medaille wäre, dass Gläubiger einen Teil ihrer Ersparnisse abschreiben müssten – und damit Teile ihrer Altersvorsorge. Auch die staatliche Rente wäre ohne Wachstum nicht finanzierbar. Wie gehen Postwachstumstheoretiker mit solchen Zusammenhängen um?

Jan Schnellenbach: Die Befürworter einer Politik des Postwachstums denken in der Regel sehr viel in Umverteilung und sehr wenig in Anreizen. Wenn sie unseren heutigen Wohlstand sehen, dann sehen sie einen Kuchen, der umverteilt werden kann. Sie sehen aber schon weniger, dass es hier um Stromgrößen geht, dass dieser Kuchen also an jedem Tag, in jedem Monat und in jedem Jahr neu gebacken werden muss.

Es werden zum Beispiel gerne Statistiken angeführt, nach denen die Milliardäre des Silicon Valley mehr Vermögen haben als x oder y Prozent der Gesamtbevölkerung, und dann wird in Aussicht gestellt, dass man das beim Übergang in eine Postwachstumsökonomie ja alles an die Armen umverteilen könne. Aber dieses Vermögen ist keine simple Verteilungsmasse. Was sind die Amazon-Aktien, die Jeff Bezos hält, noch wert, wenn man Amazon enteignet? Oder wenn man Aktienbesitzer mit exorbitanten Vermögensteuern belegt? Und wer investiert dann noch in Unternehmen, die morgen und übermorgen den Kuchen, also die Verteilungsmasse, neu backen müssten?

Die realwirtschaftlichen Wohlfahrtsverluste, die mit einem Übergang von der Marktwirtschaft zu einer wie auch immer geplanten Postwachstums-Wirtschaftsordnung verbunden wären, werden ausgeblendet. Es wird einerseits behauptet, dass man Menschen in Entwicklungsländer wohlhabender machen kann, wenn man amerikanischen Milliardären ihr Vermögen wegnimmt. Aber das ist recht dummes finanzielles Nullsummen-Argument. Was sollen die Menschen in den Entwicklungsländern von ihren empfangenen Transfers kaufen, wenn in der Realwirtschaft die Anreize zu effizienter Produktion kollabiert sind, weil man eben keine Marktwirtschaft mehr hat?

Diese Überlegungen lassen sich auch auf andere Verteilungsfragen übertragen, wie etwa die Finanzierung der Rente. Diese lebt davon, dass von einer Generation zur anderen Produktivitätsgewinne realisiert werden, so dass es der jeweils aktiven Generation relativ leichtfällt, die Ansprüche der älteren Generation zu bedienen. Produktiviätsgewinne gibt es aber in einer Postwachstumswelt entweder gar nicht, weil die Innovationsanreize verschwinden, oder sie werden bei konstantem Output zu einer weiteren Reduktion des Arbeitsinputs genutzt, weil man den Output ja nicht wachsen lassen möchte. Verteilungskonflikte zwischen aktiver Generation und Ruhestandsgeneration werden verschärft. Aber natürlich kann man einwenden, dass dies in einer Postwachstumswelt, in der ohnehin Konsummöglichkeiten zentralplanerisch-autoritär zugeteilt werden, dann auch egal ist.

Markt und Mitte: Während der Pandemie war viel vom „Präventionsparadox“ die Rede. Gilt dieses Paradox auch für die Wirtschaft? Manche Beobachter meinen ja, die Pandemie habe gezeigt, dass die Wirtschaft nicht zusammenbricht, wenn sie „heruntergefahren“ wird. Aber ist der Schaden nicht nur deshalb nicht eingetreten, weil die Geld- und Fiskalpolitik das System mit unvorstellbaren Summen stabilisiert hat?

Jan Schnellenbach: Wir hätten vermutlich tatsächlich einen drastischen Crash gesehen, wenn die zwar medizinisch absolut nötigen, aber ökonomisch dann eben doch mit schweren Nebenwirkungen verbundenen Pandemieauflagen nicht durch staatliche Transfers abgefangen worden wären. Aber das kann man nicht ständig und dauerhaft tun, sondern nur bei seltenen extremen Ereignissen wie einer Pandemie. Die Krise von 2020 war insofern auch nicht, wie manche Kommentatoren behaupten, eine Krise der Marktwirtschaft. Zentrale Funktionsbedingungen der Marktwirtschaft wurden temporär politisch außer Kraft gesetzt, um eine medizinische Krise zu kontrollieren. Ein exogener, nicht aus dem Marktsystem selbst kommender Schock wie aus dem Lehrbuch.

Aber der wichtigere Punkt ist wahrscheinlich, dass all dies nicht gereicht hat, um ökologische Ziele zu erreichen. Wir haben 2020 einen starken Konsumeinbruch gesehen, die Mobilität ist drastisch eingebrochen, es gab viel weniger Reisen im Flugzeug. Und all das hat zum Beispiel bei den CO2-Emissionen zwar zu einem Rückgang geführt, aber dieser war bei weitem nicht groß genug, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.

Das lässt aufhorchen. Wenn man das Klima über Konsumverzicht mit einer Degrowth-Strategie retten will, dann wären dafür noch viel drastischere Einschränkungen als 2020 nötig. Wie wollen die Degrowth-Strategen dies politisch durchsetzen? Demokratisch wird das kaum gehen, und das erklärt vielleicht auch die immer aggressiver, trotziger und autoritärer werdende Rhetorik in diesen Kreisen. Es gibt für so etwas keine politischen Mehrheiten. Wer auf demokratischem Wege das Klima retten will, wird um CO2-sparenden und allgemein ressourcensparenden technischen Fortschritt nicht herumkommen, also auch Wachstum brauchen. Ohne grünes Wachstum wird es nicht gehen.

Weiterführender Podcast zum Thema:  Podcast Postwachstumsökonomik Entkoppeln statt verzichten – Wirtschaftliche Freiheit