Um die Debattenkultur ist es aktuell nicht gut bestellt. Diskussionen werden immer öfter emotional oder gar feindselig geführt. „Safe Spaces“ sind keine Lösung, sondern die Rückkehr zu Verantwortung, Form und Stil. Lesen Sie dazu ein Interview mit Ass.-Prof. Dr. Florian Follert, Assistant Professor für Unternehmensrechnung und Sportökonomik an der Privatuniversität Schloss Seeburg.

Markt und Mitte: Um die Debattenkultur ist es aktuell nicht gut bestellt. Insbesondere gesellschaftspolitische Diskussionen verlaufen oft aufgeregt, manches Mal sogar aggressiv. Gelassenheit, Abgewogenheit und Kritikfähigkeit scheinen abhanden zu kommen. Wo sehen Sie den Ursprung für dieses Reizklima?

Florian Follert: In der Tat ist eine zunehmende Spannung in Debatten erkennbar. Dabei spielt nach meiner Einschätzung neben inhaltlichen Punkten auch die veränderte Kommunikation eine große Rolle. Gerade in sozialen Medien bewegen sich viele Menschen in Filterblasen und Echokammern. Positionen, die der eigenen Meinung entgegenstehen, werden schnell als feindselig betrachtet und die begrenzte Zeichenzahl führt dazu, dass Gedankengänge nicht differenziert dargestellt werden können, dies führt zu Lagerbildungen. Oftmals resultieren daraus klassische Kommunikationsprobleme im Sender-Empfänger-Modell, die im persönlichen Austausch, etwa in einem Telefonat, nicht entstünden. Soziale Medien lassen Barrieren verschwinden, was einerseits ein gesellschaftlicher Fortschritt ist, andererseits jedoch zu einem Reizklima führt. Der Wähler kann das Statement eines Politikers etwa auf Twitter sofort kommentieren. Stünde der Twitternutzer dem Politiker physisch gegenüber, wäre es wahrscheinlich in einer Vielzahl der Fälle so, dass der Kommentar viel höflicher ausfiele, wenn er denn überhaupt getätigt würde. Derartige Plattformen bieten zudem die Möglichkeit, teils aus der Anonymität heraus, in Diskussionen einzusteigen, ohne sich dem eigenen begrenzten Wissen bewusst zu sein. Die Nutzung von Vorurteilen und Plattitüden sind die Folge. Dadurch wird der Konflikt befeuert und irgendwann führt dies auf allen Seiten zu Frustration. Auch innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft ist zu beobachten, dass sich fachliche Diskussionen auf Social Media-Plattformen verlagern, die für die Auseinandersetzung mit komplexen Phänomenen möglicherweise der falsche Ort sind.

Markt und Mitte: Wo Menschen aufeinandertreffen, treffen auch unterschiedliche Meinungen, Weltanschauungen oder Mentalitäten aufeinander. Das war auch schon so, bevor Begriffe wie „Mikroaggression“ oder „Cancel Culture“ Karriere machten. Im privaten Umfeld scheinen die Menschen mit solchen Unterschieden nie große Probleme gehabt zu haben – sei es, weil Respekt im persönlichen Umgang eine große Rolle spielt, sei es, weil man sich notfalls auch aus dem Weg gehen kann. Täuscht der Eindruck oder gelingt das in der öffentlichen Diskussion und an den Universitäten weniger gut? Sehen Sie Probleme für den wissenschaftlichen Fortschritt, wenn bestimmte Positionen von vornherein aus dem Diskurs ausgeklammert werden?

Florian Follert: Im Privatleben klappt es oft besser, was unter anderem mit klar abgegrenzten Eigentumsrechten zu tun haben könnte. Auch die Redefreiheit lässt sich aus dem Recht am eigenen Körper – wozu natürlich auch die Stimme zählt – ableiten. Dieses Eigentumsrecht wird aber beispielsweise begrenzt, wenn sich die Person, die dieses Recht für sich in Anspruch nimmt, im Eigentumsbereich einer anderen Person aufhält. Mit anderen Worten: „Du kannst alles sagen, aber eben nicht in meinem Haus!“ Im öffentlichen Raum gestaltet sich die Sachlage schwieriger, gerade an öffentlichen Universitäten. Wissenschaft lebt vom kritischen Diskurs, es muss einen Wettbewerb um die beste Idee geben. Oftmals sind es gerade die überraschenden Erkenntnisse und die unorthodoxen Vorschläge, die mittelfristig Innovation ermöglichen. Dabei ist es wichtig, dass Themen insbesondere im akademischen Umfeld ohne Denkmauern kontrovers diskutiert werden können. Die Universität sollte ein Ort der intellektuellen Freiheit sein. Dabei dürfen und sollen sich die Lehrenden und die Lernenden natürlich wohl fühlen. Eine absolute Wohlfühlatmosphäre kann jedoch hinderlich wirken, weil die Akteure im Zuge einer wachsenden Bedeutung des genannten Sujets zu einem Konformismus neigen. „Safe spaces“ – seien es nun physische oder gedankliche Räume –, in denen bestimmte Positionen a priori ausgeschlossen werden, erscheinen als mit dem klassischen Liberalismus unvereinbar. Bei institutionalisierte Schutzgebilden wird eine normative Wertung vorgenommen, indem den Präferenzen bestimmter Individuen Vorrang gewährt wird. Daraus ergibt sich notwendigerweise, dass andere Individuen in ihrer Freiheit eingeschränkt werden.

 Markt und Mitte: Was schlagen Sie vor? Was kann man tun, um den unterschiedlichen Befindlichkeiten gerecht zu werden und verhärtete Fronten wieder aufzuweichen?

Florian Follert: In einem rein privaten Bildungssystem wäre eine marktliche Lösung des Konflikts naheliegend. Hier könnten die Eigentümer privater Universitäten auf Basis ihres Verfügungsrechts ihre jeweilige Ausrichtung festlegen. Jeder, der dann mit der entsprechenden Organisation einen privaten Vertrag abschließt, wird dies nur tun, wenn er sich unter diesen Bedingungen einen Nutzen hiervon verspricht. Gleichzeitig wäre davon auszugehen, dass sich aus dem Wettbewerb heraus ein gewisser Pluralismus entwickeln würde, sodass es viele kleine Universitäten mit verschiedenen Positionierungen gäbe. Dies sagt aber zum einen nichts über andere Effekte aus, die mit einem solchen System einhergingen und zum anderen ist es in der Realität so, dass ein Großteil des Bildungssystems staatlich getragen wird. Insofern sollten aber gerade öffentliche Universitäten den Meinungspluralismus innerhalb der Gesellschaft widerspiegeln, der seine Grenzen selbstverständlich im Gesetz findet.

Vielfalt kann in diesem Zusammenhang auch bedeuten, dass man die heterogenen Präferenzen innerhalb einer Gesellschaft akzeptiert. Menschen sind kulturell unterschiedlich aufgewachsen, unterschiedlich erzogen und haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht, was ihre Wertvorstellungen determiniert. Ein zentrales Axiom der ökonomischen Analyse ist die Präferenzfreiheit der Individuen. Das sollte ernst genommen werden, die Grenzen setzen Gesetze und der Eigentumsbereich bzw. der Körper anderer Individuen. Leider ist in öffentlichen Debatten oft ein Absolutheitsanspruch, der sich auf normative Erwägungen gründet, zu erkennen. Viele Konzepte und Begriffe werden wenig differenziert. Hier ist es Aufgabe von Wissenschaftlern, den kritischen und differenzierten Diskurs zu beleben und darauf hinzuweisen, dass es zum Beispiel nicht die Ethik gibt, sondern verschiedene ethische Programme.

Schließlich hat der indische Ökonom und Philosoph Armartya Sen darauf hingewiesen, dass man absolute Freiheit nicht durch vorgegebene Regeln erreicht, sondern durch individuelle Werte, die wiederum die Präferenzen anderer Individuen respektieren. Dies gilt sowohl für das gesellschaftliche Zusammenleben im Allgemeinen als auch die wissenschaftliche Gemeinschaft. Der Soziologe und Wissenschaftstheoretiker Robert K. Merton entwickelte ein „Ethos der Wissenschaft“, das auch heute noch als entsprechende Leitplanke dienen kann. In diesem Sinne sollten wir diskutieren, streiten; aber mit Verantwortung, Form und Stil.

 

Weiterführende Literatur

Follert, F. & Daumann, F. (2020), Sen and safe: Sind „safe spaces” mit dem Liberalismus vereinbar? Wirtschaftliche Freiheit vom 12.07.2020, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=27638.

Follert, Florian & Daumann, Frank (2021), Social Media und Cancel Culture: Einige eigentumsethische Bemerkungen, Wirtschaftliche Freiheit vom 30. Juli 2021, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=29488.

Bagus, Philipp, Daumann, Frank & Follert, Florian (2021), Cancel Culture and academic freedom: A private property rights perspective, 5th Madrid Conference on Austrian Economics, Universidad de Rey Juan Carlos, Madrid, Spanien.

Follert, Florian & Daumann, Frank (2021), Wie viel „safe space“ verträgt die Wissenschaft? Eine ökonomische Betrachtung aus Sicht des Liberalismus. Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 50(10), 23-28.