» Wirtschaftssystem

markt und moral

„Zu Zeiten der englischen Kolonialverwaltung soll es in Indien einmal zu viele Kobras gegeben haben. Um der Plage Herr zu werden, setzte der Gouverneur eine Prämie pro abgelieferten Kobra-Kopf aus. Die Inder sollten also Kobras einfangen. Wie reagierten sie? Sie züchteten Kobras, um die Prämie zu kassieren.“

– Horst Siebert, ehemaliger Vorsitzender der „5 Wirtschaftsweisen“

Gute Ergebnisse statt guter Absichten.
Der sogenannte Kobra-Effekt zeigt, dass die gute Absicht einer (wirtschafts-) politischen Maßnahme nicht automatisch zu einem guten Ergebnis führt. Vielmehr können unerwünschte Nebeneffekte auftreten, die im Extremfall sogar das Gegenteil des eigentlich angestrebten Ziels bewirken. Deshalb muss eine weitsichtige Politik die Anreizwirkungen der politischen Entscheidungen berücksichtigen. Es ist wichtig zu verstehen, dass die meisten Menschen im Regelfall vorwiegend eigennützig handeln. Sie versuchen, das Beste für sich und ihre Familien herauszuholen.

Gerade weil die Menschen überwiegend eigennützig handeln, werden häufig moralische Vorbehalte gegen die Marktwirtschaft artikuliert. Die Wirtschaftsakteure werden weniger von guten Motiven oder von guten Absichten geleitet, sondern hauptsächlich von einem eigennützigen Gewinnmotiv. Das erscheint manchem Beobachter suspekt. Doch Marktwirtschaft funktioniert ohne Samariter. Menschen mit ganz durchschnittlichen Eigenschaften und Motiven reichen für eine dynamische und an Kundenwünschen orientierte Wirtschaft vollkommen aus. Für viele Marktakteure sind ihre Handels- und Geschäftspartner letztlich Mittel zum Zweck – und der Zweck lautet: Einkommens- oder Gewinnmaximierung.

Erst durch den Markt werden aus mittelmäßigen Motiven gute Taten. Wer Geld verdienen möchte, muss sich zunächst Gedanken darüber machen, mit welchem Produkt oder mit welcher Dienstleistung er Kundenwünsche erfüllen kann. Der Wirtschaftsethiker Karl Homann formuliert es so:
„Der Wohl-Stand aller hängt nicht vom Wohl-Wollen der Einzelnen ab.“
Der Marktwirtschaft liegt also keine Motivmoral, sondern Ergebnismoral zugrunde. Gemäß der Einteilung des deutschen Soziologen Max Weber entspricht die Marktwirtschaft somit den Kriterien der „Verantwortungsethik“, bei der es vorwiegend um die Ergebnisse des Handelns geht und weniger um die Motive – wie es bei der „Gesinnungsethik“ der Fall ist.

Selbstverständlich können wirtschaftliche Aktivitäten gesellschaftlich unerwünschte Folgen haben und damit soziale Kosten verursachen. Es ist dann Aufgabe der Politik, die wirtschaftliche Rahmenordnung so zu gestalten, dass das Eigeninteresse der Akteure sozialverträglich kanalisiert wird. Die Moral wird idealerweise so in der Rahmenordnung verankert, dass die wirtschaftlichen Akteure nicht in jedem Einzelfall eine eigene moralische Abwägung vornehmen müssen.

Eines von vielen Beispielen liefert der Umweltschutz: Aus ökonomischer Perspektive entstehen ökologische Probleme, wenn Umweltgüter keinen Preis haben und deshalb von den Wirtschaftsakteuren bei ihren Kalkulationen nicht als Kostenfaktor berücksichtigt werden. Die Umwelt wird dadurch zu stark in Anspruch genommen bzw. zu stark belastet. Die marktwirtschaftliche Lösung besteht darin, der Umwelt über Steuern oder Emissionszertifikate einen Preis zu geben. Unternehmer und Verbraucher erhalten dadurch finanzielle Anreize, sich umweltschonend zu verhalten und nach umweltschonenderen Produktionsverfahren zu suchen. Das Eigeninteresse aller Beteiligten wird dadurch im Sinne der gesamten Gesellschaft kanalisiert. Solche preislichen Anreize sind effizient und sie sind wirksamer als moralische Appelle, „Erziehungsmaßnahmen“ oder Verbote.

Die Marktwirtschaft ist das Wirtschaftssystem, das die Menschen so nimmt, wie sie tatsächlich sind – und nicht, wie sie sein sollten. Andere Wirtschaftssysteme sind daran gescheitert, dass die Menschen nicht den Idealvorstellungen der zugrundeliegenden Ideologien entsprachen. Der Sozialismus der osteuropäischen Staaten ist unter anderem daran gescheitert, dass dessen Architekten glaubten, die Menschen würden auch dann volle Leistung bringen, wenn sie die Früchte ihrer Arbeit nicht behalten dürfen, sondern im Sinne von Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität umverteilt werden. Die Marktwirtschaft ist also weniger moralisch aufgeladen, aber dafür pragmatisch erfolgreich.

Im angelsächsischen Raum kennt man für die hier geschilderten Zusammenhänge übrigens das Sprichwort: „The road to hell is paved with good intentions.“